Interview mit S.E. Bischof Fellay anlässlich des Generalkapitels (16. Juli 2012)

Fonte: FSSPX Aktuell

Das Schweigen in Glaubensfragen ist nicht die Antwort auf die „stillschweigende Apostasie“

DICI: Wie ist das Generalkapitel verlaufen, in welcher Atmosphäre?

Bischof Fellay: Hauptsächlich in einer sehr engagierten Atmosphäre, denn die Mitglieder des Kapitels konnten sich in aller Offenheit austauschen, wie es einem solchen Arbeitstreffen entspricht.

DICI: Wurden die Beziehungen zu Rom behandelt? Gab es keine unerlaubten Fragen? Konnten die Divergenzen innerhalb der FSSPX, die sich in der letzten Zeit gezeigt haben, geglättet werden?

Bischof Fellay: Was Rom betrifft, sind wir wirklich der Sache auf den Grund gegangen, und alle Kapitelteilnehmer konnten Einsicht in das vollständige Dossier nehmen. Nichts wurde beiseite gelassen, es gibt keine Tabus unter uns. Ich sah es als meine Pflicht an, präzise die Gesamtheit aller Dokumente, die mit dem Vatikan ausgetauscht wurden, darzulegen. Genau das wurde durch das schädliche Klima der letzten Monate sehr schwierig gemacht. Dieses Exposé hat eine offene Diskussion ermöglicht, welche die Zweifel aufgeklärt und die Verständnisschwierigkeiten beseitigt hat. Das hat den Frieden und die Einheit der Herzen gefördert, und das ist sehr erfreulich.

DICI: Wie sehen sie die Beziehungen zu Rom nach diesem Kapitel?

Bischof Fellay: Alle Unklarheiten unsererseits wurden aufgehoben. Wir werden in sehr kurzer Zeit Rom die Position des Kapitels zukommen lassen, das uns die Gelegenheit gegeben hat, unsere Marschroute zu präzisieren. Wir bestehen auf der Bewahrung unserer Identität, was das einzige wirksame Mittel darstellt, um der Kirche zu helfen, die Christenheit zu erneuern. So wie ich ihnen kürzlich gesagt habe: „Wenn wir den Schatz der Tradition für das Heil der Seelen fruchtbar machen wollen, müssen wir sprechen und handeln“ (Siehe Interview vom 8. Juni 2012). Wir können kein Stillschweigen bewahren im Angesicht des allumfassenden Glaubensabfalles, auch nicht vor dem schwindelerregendem Zusammenbruch der Berufungen und des religiösen Lebens.

Wir können nicht schweigen zu dieser „schleichenden Apostasie“ und ihren Ursachen. Denn ein Schweigen in Glaubensfragen ist nicht die Antwort auf diese „stillschweigende Apostasie“, die selbst Johannes-Paul II. im Jahr 2003 festgestellt hat. In dieser Vorgehensweise sind wir uns nicht nur in der Festigkeit der Lehre von Erzbischof Lefebvre einig, sondern auch in seiner pastoralen Liebe. Die Kirche hat die Einheit der ersten Christen im Gebet und in der Liebe immer als das größte Zeugnis für die Wahrheit angesehen. Sie waren „ein Herz und eine Seele“, berichtet die Apostelgeschichte (Kap. 4,32). Das interne Rundschreiben der Bruderschaft trägt den Titel „Cor unum“, das ist ein allgemeines Ideal, eine Regel für alle. Auch distanzieren wir uns mit Nachdruck von all denen, welche von der Situation profitieren wollten, um Unkraut zu säen durch das Aufbringen der Mitglieder der Bruderschaft gegeneinander. Dieser Geist kommt nicht von Gott.

DICI: Was bedeutet für Sie die Ernennung von Bischof Gerhard Ludwig Müller zum Präfekten der Glaubenskongregation?

Bischof Fellay: Der ehemalige Bischof von Regensburg, in dessen Diözese sich unser Seminar von Zaitzkofen befindet, schätzt uns nicht, das ist für niemanden ein Geheimnis. Nach der mutigen Tat von Benedikt XVI. 2009 zu unseren Gunsten schien er nicht im mindesten im gleichen Sinn mitarbeiten zu wollen. Er hat uns wie Parias behandelt. Schließlich war er es, der erklärt hat, dass unser Seminar geschlossen werden müsste und dass unsere Studenten in die Seminare ihres Herkunftslandes gehen müssten, bevor er unumwunden verkündete: „Die vier Bischöfe der Bruderschaft müssten alle demissionieren!“ (siehe Interview in der „Zeit online“ vom 8. Mai 2009). Aber noch wichtige und noch beunruhigender für uns ist die Rolle, die er an der Spitze der Glaubenskongregation wird aufnehmen müssen.

Ihre Aufgabe ist es, den Glauben zu verteidigen, mit der besonderen Mission, die Lehrirrtümer und die Häresien zu bekämpfen. Denn mehrere Texte von Bischof Müller über die wirkliche Transsubstantiation von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi, über das Dogma der Jungfrauengeburt, über die Notwendigkeit für die Nichtkatholiken, sich zur katholischen Kirche zu bekehren... sind mehr als fragwürdig. Ohne jeden Zweifel wären sie früher Gegenstand einer Intervention von Seiten des Heiligen Offiziums gewesen, aus dem die Glaubenskongregation hervorgegangen ist, welcher er heute vorsteht.

DICI: Wie sieht die Zukunft der Priesterbruderschaft St. Pius X. aus? Ist sie in ihrem Kampf für die Tradition der Kirche immer noch auf der Gratwanderung?

Bischof Fellay: Mehr denn je müssen wir diese Gratwanderung effektiv bewahren, die durch unseren verehrten Gründer festgelegt ist. Das ist ein schwer einzuhaltender Weg, aber absolut lebensbringend für die Kirche und den Schatz ihrer Tradition. Wir sind Katholiken, wir anerkennen den Papst und die Bischöfe, müssen aber vor allem den Glauben unverändert bewahren, welche Quelle der Gnade des lieben Gottes ist. Als Folge daraus muss man all das vermeiden, was ihn in Gefahr bringen könnte, ohne uns jedoch an die Stelle der katholischen, apostolischen und römischen Kirche zu setzen. Fern sei von uns die Idee, eine Parallelkirche zu begründen, die ein paralleles Lehramt ausübt. Erzbischof Lefebvre hat das vor mehr als 30 Jahren sehr gut erklärt: Er wollte nur das weitergeben, was er von der zweitausendjährigen Kirche bekommen hat. Und das ist alles, was wir in seiner Nachfolge wollen, denn nur so können wir wirksam helfen, „alles in Christus zu erneuern“.

Nicht wir  brechen mit Rom, dem ewigen Rom, der Lehrmeisterin der Weisheit und der Wahrheit. Auf der anderen Seite wäre es unrealistisch, den modernistischen und liberalen Einfluss zu leugnen, der seit dem II. Vatikanum und den aus ihm hervorgegangenen Reformen innerhalb der Kirche ausgeübt wird. Mit einem Wort gesagt: Wir bewahren den Glauben im Primat des römischen Pontifex und in der auf Petrus gegründeten Kirche, aber wir lehnen alles ab, was zur „Selbstzerstörung der Kirche“ beiträgt, wie von Paul VI. selbst 1968 ausgedrückt. Möge Unsere Liebe Frau, die Mutter der Kirche, den Tag ihrer authentischen Erneuerung beschleunigen. (Source : DICI 258)